MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Seitz, wie Sie in ihrem Buch beschreiben, zählen neben Erkrankungen des Bewegungsapparates zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle in Österreich psychische Belastungen, die sich häufig in Form eines Burnouts manifestieren. Sehen Sie die Notwendigkeit einer betrieblichen Gesundheitsvorsorge hierin begründet?
SEITZ:
Betriebliches Gesundheitsvorsorge wird in der Wirtschaft mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die Überalterung in der Bevölkerung wirkt sich auch bei den Erwerbstätigen aus und die Krankenstände in Österreich nehmen in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung ständig zu. Arbeitsausfälle stellen für Unternehmen immer ein hohes wirtschaftliches Risiko dar. Psychische Erkrankungen verursachen Fehlzeiten von durchschnittlich 33 Tagen. Jeder dritte Erwerbstätige ist im Arbeitsalltag psychischen Belastungen durch Zeitdruck und Überbeanspruchung ausgesetzt. Hier wird die Notwendigkeit eines betrieblichen Gesundheitsmanagements deutlich.
MED-REPORTER.AT:
Im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit haben Sie die Auswirkungen eines Vibrationstrainings auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Mitarbeitern untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
SEITZ:
Die Untersuchung, die über einen Zeitraum von zwölf Wochen in einem österreichischen mittleren Unternehmen durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass nach kontinuierlichem Vibrationstraining auf einer Vibrationsplatte sich neben einer signifikanten Schmerzverbesserung bei jenen Teilnehmern, die zu Beginn Schmerzen angegeben hatten, sowohl die körperliche Rollenfunktion und die Vitalität als auch die allgemeine Gesundheit und das psychische Wohlbefinden in der Trainingsgruppe statistisch signifikant verbessert haben. Das psychische Wohlbefinden umfasst dabei die allgemeine psychische Gesundheit, einschließlich Depression, Angst, emotionale und verhaltensbezogene Kontrolle und die allgemeine positive Gestimmtheit.
MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Horn, können Sie als Burnout-Expertin diese Art der Gesundheitsvorsorge begrüßen?
HORN:
Diese Art der Gesundheitsvorsorge in Betrieben ist gerade in der Burnout-Prophylaxe von ganz entscheidender Bedeutung. Burnout ist keine Krankheit, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel einschlägt. Burnout ist ein prozesshafter Verlauf, der sich oft über Jahre hinzieht. Es ist entscheidend, dass wir uns in den aus den Angeln geratenen Begriffsdefinitionen wieder an die Wurzeln der Burnout-Forschung erinnern. Christine Maslach beschreibt 1998 in der theoretischen Erklärung des Burnout-Risikos drei Erklärungsebenen: die intrapersonelle Ebene, die interpersonelle Ebene und die Personen-Institutionsebene. Daraus ist abzuleiten, dass sich auch die Komponenten möglicher Lösungsstrategien auf diesen drei Ebenen erarbeiten lassen. Lassen wir uns nicht dazu verleiten, das von meiner Kollegin Dr. Seitz vorgestellte Programm nur auf eine Vorsorgemaßnahme auf Personen-Institutionsebene zu reduzieren. Gutes Monitoring in Gesundheitsvorsorgeprogrammen ermöglicht der Organisation, Mitarbeiter in ihrer Ganzheit mit vielen ihrer Sorgen und Nöten zu erfassen.
MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Seitz, konnten Sie in Ihrem Vorsorgeprogramm erkennen, dass Mitarbeiter bereits erschöpft und ausgebrannt waren?
SEITZ:
Häufigste Ursache für psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind ständiger Zeitdruck und Überbeanspruchung. Psychische Belastungen haben gesundheitliche Auswirkungen für die Mitarbeiter und zudem einen negativen Effekt auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Die ständig steigenden Anforderungen an Mitarbeiter belasten sowohl psychisch als auch physisch. Die Basisdaten und der Verlauf der Untersuchung zeigen, dass eine gewisse Erschöpfung der Mitarbeiter nicht auszuschließen ist.
MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Horn, kann aus dem Anforderungsdruck und der Belastung in einem Unternehmen bereits Burnout abgeleitet werden ?
HORN:
Nein, Belastung und Anforderungsdruck im Beruf bedeutet nicht, dass Mitarbeiter ein Burnout erleiden müssen. Jeder Mensch pflegt seinen eigenen Umgang mit Stress und entwickelt unterschiedliche Konzepte der Stressbewältigung. Dabei besonders wichtig ist die Achtsamkeit sich selbst gegenüber, also die "Sorge um sich selbst". Die Anpassung an die jeweiligen Bedingungen und deren Erfordernisse ist ausschließlich dem Urteil, der Kreativität und der Selbstverantwortung des Einzelnen anheimgestellt. Unterstützt der Arbeitgeber diese Haltung und ermöglicht den Mitarbeitern, bewusst Eigenverantwortung für den persönlichen Gesundheitszustand zu übernehmen, wird auf allen drei von Maslach beschriebenen Ebenen aktive Burnout-Prophylaxe betrieben. Denn es wird bestimmt nicht möglich sein, alle belastenden Elemente im Berufsleben zu beseitigen. Auf der intrapersonellen Ebene löst das Angebot der Gesundheitsvorsorge Selbstreflexion aus. Mitarbeiter sind mit der Frage konfrontiert, wie es um den persönlichen Gesundheitszustand bestellt ist. Das bedeutet schon, dass eigene Handlungsspielräume und deren Grenzen ausgelotet werden. Selbstsorge bedeutet ja beharrliche Arbeit an sich selbst, weil es gilt, Perspektiven zu wechseln, andere Blickwinkel wahrzunehmen und Änderungen herbeizuführen. Intrapersonell ermöglicht die Mitarbeitervorsorge bessere Kommunikation im Team. Mitarbeiter werden untereinander viel aufmerksamer und Warnsignale, ob es jemandem schlecht geht, können viel früher erkannt, gedeutet und ernst genommen werden. Auf der Personen-Institutionsebene ist die Gesundheitsförderung im Unternehmen ein wichtiger Hinweis für Qualitätsbewusstsein in der Organisationsentwicklung. Eine Reihe von Studien belegt, dass sich in Organisationen, in der ein hohes Maß an Autonomie und Eigenverantwortung lebbar ist, hohe Zufriedenheitsraten nachweisen lassen. Umso bedeutender erscheinen also Gesundheitsprophylaxe und die Ermunterung zur Selbstsorge als wichtige Burnout-Präventionsmaßnahme.
MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Seitz, haben Ihre Forschungen bestätigt, dass es sich bei der bei Ihnen durchgeführten Gesundheitsvorsorgemaßnahme auch um eine Organisationsentwicklung handelt?
SEITZ:
Verhaltensfördernde Maßnahmen wie Vibrationstrainings in Unternehmen tragen sicherlich zu einer positiven Entwicklung der Mitarbeitergesundheit bei. Die Umsetzung derartiger Projekte führt schnell zum Erfolg. Um nachhaltige Effekte verzeichnen zu können, ist es allerdings notwendig, die gesetzten Maßnahmen in ein umfassendes betriebliches Gesundheitsförderungskonzept zu integrieren.
MED-REPORTER.AT:
Frau Dr. Seitz, wie sehen Sie Gesundheitsförderung bzw. die Positionierung von Gesundheitsmanagern in Unternehmen in der Zukunft?
SEITZ:
Künftig wird es notwendig sein, Gesundheitsmanagern in Unternehmen Raum zu geben bzw. entsprechende Ressourcen frei zu machen. Ohne die Implementierung eines umfassenden Gesundheitsmanagementkonzepts wird eine Nachhaltigkeit nicht gegeben sein. Die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen und der steigende Konkurrenzdruck sollten Anlass genug für ein Umdenken sein. Corporate Social Responsibility hat nicht nur das Image, sondern letztendlich auch den Unternehmenserfolg zum Ziel.